Der Tipp-Kick-Club 91 Nürnberg

Kleine Scharfschützen aus der Holzkiste - 03.08.2009

 

NÜRNBERG - «Zeit läuft!», ruft Richard Bachmann. Dann muss es schnell gehen. Mit Daumen und Mittelfinger hält er seine Tipp-Kick-Figur an den Schultern fest, mit der Zeigefingerspitze tippt er ihr vorsichtig auf den Kopf. Der kleine, schwarz-weiße Ball kullert auf den linken Flügel, Bachmann geht in Trippelschritten hinterher. Der Winkel ist spitz, Bachmann visiert das lange Eck an. Flachschuss, kurz vor dem Tor verspringt der Ball ein wenig, dann zappelt er im Netz. 1:0 – nach fünf Sekunden und zwei Ballkontakten.

«Zeit läuft!», ruft Richard Bachmann. Dann muss es schnell gehen. Mit Daumen und Mittelfinger hält er seine Tipp-Kick-Figur an den Schultern fest, mit der Zeigefingerspitze tippt er ihr vorsichtig auf ...

Es ist Freitagabend, kurz vor neun, in der Stadtbibliothek in Röthenbach an der Pegnitz. Hier trifft sich der Tipp-Kick-Club (TKC) 91 Nürnberg zweimal im Monat zum Training. Ein Dutzend Männer verkriechen sich für drei Stunden in einer Ecke hinter den Bücherregalen. Auf vier Tischen stehen die mit grasgrünem Filz bespannten Spielfelder. Das Training besteht nur aus einem Turnier: Zwei Vorrundengruppen, dann Halbfinale, Finale, gegen Mitternacht steht der Sieger fest.

«Tipp-Kick lebt davon, es zu spielen. Dabei lernt man am meisten. Wir müssen keine Laufarbeit im Wald machen und keine Übungen mit Hütchen, wir müssen uns nicht mal warmmachen – wir dürfen gleich spielen», erzählt Bachmann. Davon träumt wohl so mancher Fußballer. Zwischen den Spielen wird eifrig gefachsimpelt: über Dreher, Schlenzer und direkte Ecken, über Spielzüge, Taktiken und über den 1. FCN.

Auch Erwachsene dürfen mal «kindlich» sein

«Ich sehe das alles eher locker, man darf es nicht ganz als ernsthaften Sport sehen. Es ist ein Spiel, das noch mehr Spaß macht, wenn man sich mit anderen misst», sagt Bachmann. Wenn er sich mit anderen Erwachsenen darüber unterhält, dass er Tipp-Kick im Verein spiele, dann geniere er sich fast ein bisschen. «Es hat sicherlich irgendetwas Kindliches. Aber das dürfen Erwachsene auch spielen, wie bei ‚Mensch ärgere Dich nicht’», verteidigt der 47-Jährige sein Hobby.

Während der Partien macht Bachmann aber durchaus ernst. Außer dem Klacken der Tipp-Kick-Männchen beim Schuss ist fast nichts zu hören. Volle Konzentration. Bachmann, der ein orangefarbenes Hawaiihemd und eine Brille trägt, fährt sich nach missglückten Aktionen aufgebracht durchs Haar. Manchmal begleitet von einem leisen, aber energischen «Des gibt’s doch net».

«Ich kann eigentlich gar nicht verlieren», gibt er nach dem Spiel offen zu. Besonders wichtig seien ihm Siege gegen seinen Sohn Tim. «Das kommt aber fast nie vor», ruft der 15-Jährige dazwischen. Tim und Richard Bachmann haben ihre Leidenschaft für Tipp-Kick gemeinsam (wieder-)entdeckt. «Als ich sechs oder sieben war, haben wir zu Hause angefangen zu spielen. Mit alten Figuren, die mein Vater als Kind selbst bemalt hatte», erinnert sich Tim. Vor fünf Jahren schlossen sie sich dem TKC 91 Nürnberg an, für dessen Mannschaft sie in der Verbandsliga, der untersten Klasse, spielen.

Die alten, selbst bemalten Figuren haben inzwischen ausgedient. Die neuen Kicker werden sorgsam in einer mit Schaumstoff verkleideten Holzkiste aufbewahrt. «Man hat es nicht so gern, wenn ein anderer die Figuren anfasst», erklärt Tim. Es gibt Scharfschützen, Spezialisten für Dreher und für Lupfer sowie Allrounder.

Je nach Spielsituation wird ein bestimmter Spieler gewählt. Sie unterscheiden sich in Größe und Stellung des Fußes und haben unterschiedlich schwere Schenkel. Einfache Modelle kosten weniger als zehn Euro, aufwendigere manchmal sogar das Fünffache. «Da ist auch ein bisschen Aberglaube dabei, eigentlich kann man mit jedem Männchen gut schießen», meint Richard Bachmann. Aber es gebe sogar Cracks, die die Füße ihrer Männchen mit der Feile an die eigenen Vorlieben anpassen. Hochwertige Figuren allein machen aber noch keinen guten Spieler. Man müsse Tipp-Kick lesen können, früh erkennen, wo der Ball hinkommt, die Figuren richtig stellen und gute Reaktionen haben, sagt Bachmann. Entscheidend sei der Torwart: «Die Top-Spieler wehren fast alles ab und gewinnen meist 1:0 oder 2:0.» Das wichtigste taktische Element ist das «Farbspiel»: die Kunst, den Ball so zu spielen, dass immer die eigene Farbe oben liegen und man dadurch in Ballbesitz bleibt. «Dazu muss man den Ball an der Kante

anschneiden, dann rotiert er nur seitlich», erklärt Bachmann die Technik.

Wer sie beherrscht, minimiert die Zufallskomponente im Spiel und kann sich leichter in eine gute Schussposition bringen. Dann muss man nur noch die Scharfschützen-Figur aus der Holzkiste nehmen, ihr gefühlvoll auf den Kopf tippen – und schon zappelt der Ball im Netz. 

 

David Bernreuther